Stell Dir vor, Du hast einen fantastischen Plan für 2023 und plötzlich steht Deine Welt Kopf, weil ein naher Angehöriger krank wird.
Silvester, der Tag der guten Vorsätze und Pläne…. Ja, auch ich hatte einen Plan für 2023. Und eine große Aufgabe: Mehr Ruhe genießen (und entspannen und Dinge tun, die ich liebe… ein Buch lesen, in die Natur gehen)
Nach einem Jahr Aufbau meiner Selbständigkeit und vielen Arbeitsstunden will ich es in 2023 nicht weniger diszipliniert angehen, aber mit mehr Struktur und mehr Zeit für mich.
Dann kam der 12. Januar. Mein Mann hat einen Atemwegsinfekt. Morgens schiebe ich ihn noch in die “Männergrippe” Schublade. Nach einem Arztbesuch am Vormittag legt er sich, krank wie er ist, wieder hin. Am späten Nachmittag hat sich sein Zustand so verschlechtert, dass er nicht mehr schlucken kann, friert und kaum noch Luft bekommt. Meine zweite Anfrage bei ihm, ob ich den Rettungsdienst anrufen soll, bejaht er. Ergebnis des Anrufs bei 112: “Wegen sowas kommen wir nicht” – ach ja, wann kommt ihr dann? Wenn er aufgehört hat zu atmen???
Also private Fahrt ins Krankenhaus organisiert, da ich weder Führerschein noch Auto habe. Um 19:11 Uhr wurde er im Klinikum Neuperlach aufgenommen. Mit der Bitte, in 2-3 Stunden wurde ich, aufgrund der aktuellen Coronaregeln, wieder nach Hause geschickt. Um 22 Uhr rief ich an und habe mit einem sehr netten Arzt gesprochen. Als der Satz “Sind sie gerade gut aufgehoben?” kam, wusste ich, jetzt läuft irgendwas nicht gut. Umgehend bekam ich die Info, dass mein Mann im künstlichen Koma auf der Intensivstation liegt. Der eiskalte Schauer, den ich darauf erlebt habe war gruselig. Und jetzt? Sowas kennt man nur aus den Nachrichten oder aus (meinen geliebten) Krankenhausserien, aber das passiert mir doch nicht!
Am nächsten Nachmittag stand dann der erste Besuch im Krankenhaus an. Das Gespräch mit der Oberärztin brachte Fakten, die nur schwer zu verdauen sind. Mein Mann hatte um 19:35 (24 Minuten nach Einlieferung) einen Herzstillstand und musste wiederbelebt werden. Jetzt liegt er runter gekühlt (auf 33°C) im künstlichen Koma. Hätte ich also etwas mehr gezögert oder keine Fahrgelegenheit gefunden, wäre er gestorben. (Laut Oberärztin hätte ich ihn, aufgrund des zu geschwollenen Halses, alleine nicht wiederbeleben können). Im englischen nennt man so eine Nachricht “Bummer” (Horrortrip). Gefühlt stand meine Welt Kopf.
Natürlich hatte ich eine Vorstellung, wie mein Mann wohl aussieht. Allerdings war meine Vorstellung eher so Disney-Film-Niveau (oder eben Grey’s Anatomy mäßig) und die Realität war ein FSK 18 Horrorfilm. Ich wäre am liebsten sofort wieder gegangen.
Mein Gehirn funktionierte seit der Nachricht nur noch auf “Überleben” an die Fortführung meines “Plan für 2023” war nicht mehr zu denken. Ich war zu keinem klaren Gedanken fähig und habe nur funktioniert. Dieser Zustand hat übrigens gut 3 Wochen angehalten. Was sicher auch an meinen Vorbelastungen (Depression, Angststörung) liegt. Dank meines bereits bestehenden Versorungsnetzes (sehr gute Hausärztin, Psychiater, Krisentelefon meines Arbeitgebers) wurde und werde ich gut versorgt.
So ein Ereignis schmeißt erstmal jeden Plan über den Haufen. Trotz aller gutgemeinten Ratschläge “Pass auf Dich auf”, “Kümmere Dich auch um Dich”, “Sorg gut für Dich, vergiss nicht zu essen”, bleibt da einfach wenig bis keine Zeit für einen selbst. Man hat ja auch gar nicht den Nerv, sich mal entspannt auf die Couch zu legen oder etwas “Schönes” zu unternehmen. Man funktioniert und macht und macht – obwohl man eigentlich selbst krank ist.
Die unzähligen Anrufe und WhatsApp Nachrichten sind ebenfalls eine Herausforderung. Versteht mich nicht falsch, ich bin unendlich dankbar, für jede einzelne Nachfrage und Anteilnahme, aber an einigen Tagen ist es mir dann doch über den Kopf gewachsen.
Und was ist eigentlich aus meinen Routinen geworden? Bis heute (18. Februar) habe ich nicht eine Minute Yoga, Meditation oder Atemübungen gemacht. Ich hätte wirklich gerne, aber ich war einfach zu unruhig dafür. Sollte ich mich deswegen verurteilen? NEIN!!!! Das ändert nichts an der Sache und macht es nicht besser. Inzwischen habe ich eine schöne Entspannungsroutine gefunden: Lesen.
Seit Wochen/Monaten wünsche ich mir, einfach mal wieder Zeit zu finden, um meine unzähligen Zeitschriften und Bücher zu lesen. Jetzt mache ich es einfach!!!! Und es tut mir so gut. Die Auswahl der Texte ist bewusst. Es soll eine Ablenkung sein und nichts “Stressendes”. Also keine Fachliteratur 🙂
Aufgrund meines durch das Geschehene angeschlagenen Zustands, konnte ich vier Wochen nicht Arbeiten. Das ist eine zusätzliche Belastung. Wie wird der Arbeitgeber reagieren? Auch hier bin ich unendlich dankbar!!!! Meine Kollegen – egal, ob das Team der DB Systel oder des DB Fernverkehrs, alle sind sehr verständnisvoll und ich bekomme alle Unterstützung und unendlich viele ermutigende und liebe Worte. Danke dafür!
Trotz allem ist die Situation einfach nur surreal und jeden Tag holt es mich von neuem ein. Was wird werden? Jetzt? In den kommenden Wochen / Monaten? In den nächsten Jahren? Das kann mir keiner sagen. Dazu kommt die Einsamkeit. Nach Jahren des Zusammenlebens bin ich plötzlich wieder alleine zuhause. Ja, ich gebe zu anfangs habe ich es ein bisschen genossen, aber nach über 4 Wochen hat es absolut seinen Reiz verloren. Und es stehen uns ja noch einige Wochen bevor.
Nach 5 Wochen legt sich der “Ausnahmezustand” langsam und – haha – ich habe den Plan, langsam wieder zurück zu Normal zu finden. Yoga, Meditation und Routinen sollen wieder Einzug in mein Leben haben. Und ich werde wieder mehr auf meine bekannten Techniken zurückgreifen: “Nein sagen” zu allem, was ich jetzt nicht will, Auszeiten, Grenzen ziehen etc. Nur so werde ich alles schaffen! Denn eigentlich kenne ich mich mit Stress, Stressabbau, Cortisol & Co. ja bestens aus. Aber auch hier gehen Theorie und Praxis in dieser Ausnahmesituation leider auseinander. Allerdings muss ich sagen, die Gelassenheit in Bezug auf diese Themen (was MUSS ich tun, damit der Stress weniger wird?) hat mir geholfen, wieder ruhiger zu werden und zu warten, bis der Kopf wieder klarer wird.
In diesem Sinne, passt auf Euch und Eure Lieben auf! Gesundheit ist unbezahlbar, achtet auf Euren Körper und erholt Euch, wenn es Euch mal nicht gut geht. Denkt dran, ihr seid wichtiger als alles andere, auch als die Arbeit!